Tagebuch von Hope

Hope ist 15 Jahre alt geworden. Er hat die letzten 13 (!) Jahre im Tierheim Eichenwald in einem ca. 2 m x 1,5 m großen Zwinger verbracht. 13 Jahre hat er kein Gras mehr unter den Pfoten gespürt, sich nicht in einem gemütlichen Körbchen eingekuschelt. Die ersten zwei Lebensjahre hat er auf der Straße gelebt. Hope war ein total tapferes Kerlchen und hat die Hoffnung auf eine streichelnde Hand nie aufgegeben. Unsere 1. Vorsitzende Angela Seipold hatte ihn bei ihrem Besuch in Russland entdeckt und beschlossen, ihm ein Zuhause zu suchen. Alice Luetjens hat sich sofort gemeldet und gesagt, dass sie ihn nimmt! Sie lebt in Wien und ist seit Jahren im Tierschutz tätig. Sie hat bereits drei misshandelte Hunde aus dem Tierschutz übernommen. Hope durfte die letzten 17 Tage seines Lebens in einer schönen Umgebung sein. Leider verstarb er am 19. Oktober 2016. Alice Lutjens hat für uns die ersten Tage von Hope in Wien aufgeschrieben.

3. und 4. Oktober - die Ankunft

Heute war der große Tag von Hopes Ankunft. Ich konnte schon frühmorgens nicht mehr schlafen, da ich schon sehr nervös war. Hope ist nicht der erste Hund, den ich aus dem Tierschutz übernehme, nicht das erste Tier. Ich bin viele hunderte Kilometer gefahren, um meine Schützlinge abzuholen. Aber niemals übernahm ich eine Seele wie Hope! Alle meine Kinder wurden in ihrem bisherigen Leben misshandelt, oder mussten ein schlimmes Dasein fristen. Aber keines so lange wie Hope und unter so traurigen Umständen.

Ein besonderer Tag also, dieser 03.10.2016!

 

Ein Freund der Familie ließ es nicht nehmen mich und meinen Mann zum Flughafen zu begleiten. Allerdings war dabei die Hoffnung, eine junge, hübsche Russin kennenlernen zu dürfen auch ein Beweggrund. Er ist Single, es sei ihm verziehen!

 

Leider behielt mein Mann Recht in seinem Ansinnen, etwas später am Flughafen zu sein und so waren wir tatsächlich viel zu früh da. Unser Freund und ich standen bei der Ankunft, während mein Mann in der Abschleppzone im Wagen wartete. Wir wollten den Moment nicht verpassen, wenn Diana mit Hope bei der Ankunft erscheint. Nach eineinhalb Stunden Wartezeit war es dann endlich so weit.

 

Ich lief nach vorne, um sie abzufangen. Wir begrüßten uns und ich durfte einen ersten Blick in den Kennel werfen, in dem mir ein Häufchen Elend entgegen blickte. Diana übergab mir die Papiere und sagte:“ It’s yours now!“

 So verließen wir die laute Ankunftshalle und fuhren Hope in seinem Transporter zum Auto. Unser Freund sagte:“ Stellen wir doch den Transporter in das Auto und laden ihn zuhause aus!“. „Auf keinen Fall!“, antwortete ich, „er muss raus aus dem Ding!“. Ich öffnete das Tor, aber Hope kam nicht heraus. Da half auch kein Locken. Ich erkannte, dass er zu schwach war. Also zerlegte ich den Transporter am Gehsteig in seine Bestandteile und hob den völlig geschwächten Hope heraus. Nach all der Wartezeit stand er nun endlich vor mir und ich erschrak, wie mitgenommen er aussah. Also hob ich ihn vorsichtig ins Auto und wir fuhren nach Hause. Während der Fahrt musste unser Freund niesen, das so klingt als ob eine Teekanne explodiert. Ich maßregelte ihn und befahl ihm augenblicklich damit aufzuhören, denn Hope muss bei diesem Geräusch einen riesigen Schreck bekommen. Unser Freund versuchte sich zu rechtfertigen, aber dafür hatte ich kein Verständnis! Also saß er während der nächsten Minuten auf der Rückbank und presste seine Nase mit den Fingern zusammen, damit er nicht nochmal niesen muss.

Nach zwanzig Minuten waren wir zuhause angekommen. Ich hob Hope aus dem Wagen und trug ihn in den Vorgarten.

Er löste sich sofort und stolperte auf die Eingangstür zu. Da stand er dann und es schien, als ob er sagte:“ Wir sind da! Mach die Tür auf!“. Aber eine Hürde war noch zu nehmen! Die Bekanntschaft und das Zusammenführen mit unseren drei Hunden, die schon aufgeregt hinter der Tür bellten. Hope war inzwischen an seine Grenzen gestoßen und legte sich ins Gras. Es war alles zu anstrengend für ihn. Ich ließ mal den Chef der Bande, meinen Irischen Wolfshund, raus. Er beschnupperte den kleinen Hope und damit war die Sache für ihn auch schon erledigt. Die nächste Kandidatin war mein Whippet, die bereits erfolgreich an ihrem schlechten Ruf gearbeitet hatte. Sie ist bei der ersten Begegnung mit anderen Hunden immer schwierig, weil sie Hunden, die nicht demütig angekrochen kommen, gleich mal Löcher ins Fell beißt. In Wahrheit ist sie aber nur sehr unsicher und ihr Motto heißt : “Angriff ist die beste Verteidigung!“ Sobald sie merkt, dass ihr Gegenüber freundlich ist, ist sie es auch. Da Hope nicht in der Lage war, sie bellend anzuspringen, verlief die Bekanntmachung mit ihr auch wie erwartet unspektakulär. Der Dritte im Bunde ist zwei Jahre jung und ein großer Mix. Er ist grundsätzlich sehr freundlich, aber er kann seine Kräfte nicht einschätzen. Also wurde er am Brustgeschirr an Hope herangeführt und er benahm sich wie erwartet sehr höflich und auch vorsichtig.

Nachdem meine Hunde Hope kennenlernen durften und wussten, dass er da ist, war die Aufregung auch flugs wieder vorbei. Ich trug Hope ins Haus und legte ihn auf sein Bett. Er brauchte Erholung. Die Strapazen seiner Anreise waren kaum vorstellbar groß. Mein junger Mix hat das Helferleinsyndrom und ist immer um alle besorgt. Deswegen ging er auch immer wieder zu Hope, beschnupperte ihn und wedelte ihn freundlich an. Hope schnupperte auch, aber er brauchte Ruhe und so fiel er in einen tiefen Schlaf.

Als er wieder erwachte, bekam er ein paar Leckerbissen. Um ihn die Gelenksnährstoffe verabreichen zu können, umwickelte ich die Kapseln in Schinken und Salami. Ich hielt ihm das „Paket“ unter die Nase. Er roch und dann schnappte er schnell danach, genau wie eine Schnappschildkröte das macht.

 

Mein Mann ist ein notorischer „Leckerli Geber“. Nach dem fünften Stück getrockneten Rindfleisch, versuchte ich ihn ein wenig einzubremsen. Hope hatte nichts dagegen, aber er sollte nicht überfordert werden.

Wenn ich Hope streichelte und berührte, war eine gewisse Unsicherheit in seinen Augen zu erkennen. Ich näherte mich ihm sehr behutsam und langsam. Schon am Abend war dieser Blick aber ein ganz anderer. Gelassener und entspannter war er.

Wenn er wach war, dann waren seine Augen das auch. Er schaute sehr interessiert und beobachtete uns.

Nachmittags unternahmen wir den ersten Ausflug in den Garten. Hope legte sich ins Gras und schlief dann auch ein. Nach einer halben Stunde trug ich ihn aber wieder hinein, damit er sich nicht erkältet. Spätabends ging ich nochmals mit ihm raus und unterstützte ihn mit einem Tuch um seinen Bauch. So konnte er mehr, als ein paar Schritte gehen und er begann interessiert zu schnüffeln. Es fehlte ihm an Orientierung. Manchmal blieb er stehen und wusste nicht, wohin er weitergehen soll. Die vielen Eindrücke müssen erst verarbeitet werden.

Als wir wieder ins Haus kamen, wollte er nicht auf sein Bett, sondern legte sich mitten ins Wohnzimmer in unmittelbarer Nähe unseres IW. Dort schlief er dann auch ein und schon bald begann er intensiv zu träumen. Ich holte sein Bett und schob ihn vorsichtig darauf, damit er nicht die ganze Nacht hart liegt. Das klappte auch gut. Ich schlief bei ihm im Wohnzimmer und wachte um vier Uhr morgens auf. Hope wachte kurz darauf auch auf und ich gab ihm Wasser. Ich legte mich neben ihn und streichelte ihn wieder in den Schlaf.

Am Morgen waren Hope und ich die letzten, die aufstanden. Wir waren beide sehr müde. Nachdem unsere Hunde ihren Morgenspaziergang absolviert hatten, machte ich mich mit Hope auf zu seinem ersten Spaziergang. Ich nahm das Tuch mit und wir gingen los. Langsam und bedächtig, aber motiviert marschierte er die Gasse vor bis zum nahen Waldstück. Dort löste er sich und verlor dann wieder die Orientierung. Er ging plötzlich feldein in das Dickicht. Der unebene Boden und das hohe Gras verlangten ihm aber zu viel an Kraft ab und er kam zum Liegen. Ich krabbelte unter die Sträucher, hob ihn hoch und trug ihn wieder auf den Weg. So schlenderten wir weiter und wenn er nicht wusste, wie es weitergeht, orientierte er sich langsam an meinen Beinen. Auf halbem Weg beschloss er wohl, dass es Zeit war, wieder nach Hause zu gehen und steuerte direkt auf ein Eingangstor der Nachbarschaft zu und wollte dort hineingehen.

 

Ich motivierte ihn weiter zu gehen und versicherte ihm, dass wir gleich wieder zuhause sind. Schon kurz danach standen wir wieder vor unserem Haus und Hope erkannte es auch. Unglaublich, aber er steuerte zielsicher auf das Eingangstor zu. Wir gingen hinein und er legte sich gleich auf sein Bett, das immer noch in der Mitte des Wohnzimmers lag. Ich dachte, dass er nun bald wieder einschlafen wird, aber weit gefehlt. Mit gespitzten Ohren und aufmerksamen Blick beobachtete er mich und mein Mann sagte: "Ich glaube er möchte jetzt sein Frühstück!“

Das bekam er dann auch gleich und erst nach dieser Mahlzeit legte er sich hin und schlief ein. Bald danach träumte er wieder und seine schwachen Beine strampelten, dass man meinen könnte er träumt davon, wie ein junger Hund über die Wiesen zu laufen.

Sein Gesichtsausdruck ist heute schon auffällig anders. Er sieht nicht mehr angespannt aus, oder unsicher. Eigentlich ist es so, als ob er nach einer langen Reise wieder nach Hause gekommen ist.